Über Zeugen (II)

22. Oktober 2010

••• Im zweiten Kapitel der Sektion »Edut« des »Mishne Torah« geht es darum, welche Unterschiede bestehen zwischen den Kategorien von Fragen, die das Gericht zu stellen hat.

Das Kapitel behandelt diese Fragen in 5 Paragraphen, die detaillierte Beispiele bringen für Umstände, die ein Zeugnis gültig oder ungültig machen. Ich fasse hier zur Übersicht nach den Fragenkategorien zusammen.

1 – Chakirot und Derishot

Bei Chakirot und Derishot müssen beide Zeugen eine eindeutige und übereinstimmende Aussage machen. Stimmen die Antworten nicht überein oder einer der beiden sagt, er wisse es nicht, ist das Zeugnis nicht verwertbar.

Gibt es mehr als drei Zeugen und wenigstens zwei sagen übereinstimmend aus, während der dritte sagt, er wisse es nicht – dann bleibt das Zeugnis der beiden anderen bestehen.

In Bezug auf die Angabe der Zeit bestehen gewisse Toleranzen, die häufig vorkommende, nachvollziehbare Irrtümer betreffen.

  • Als die Monatslängen des jüdischen Kalenders noch nicht fixiert waren, sondern strikt nach Sichtung des Neumonds bestimmt wurden, war bis zur Mitte des Monats eine Abweichung in der Datumsangabe (wievielter des Monats) um einen Tag statthaft, solange beide Zeugen den gleichen Wochentag angaben.
  • Eine Differenz um eine Stunde war statthaft, solange es sich nicht um einen eindeutig bestimmbaren Zeitpunkt handelte, etwa »vor Sonnenaufgang« vs. »bei Sonnenaufgang«.

Bei diesen Fragen geht es darum, von zwei Zeugen übereinstimmende Evidenz in Sachen Ort, Zeit und Tathergang für die Verurteilung zu erhalten, wie es die Torah vorschreibt.

2 – Bedikot

Bei den Bedikot dürfen sich die Aussagen ebenfalls nicht widersprechen. Sagt jedoch einer der Zeugen, er kenne die Antwort nicht, spielt das keine Rolle.

Bei diesen Fragen, die ja keine wesentlichen Details des Falles betreffen, geht es darum, die Aufrichtigkeit und Ehrlichkeit des Zeugen zu prüfen, d.h. ob der Zeuge tatsächlich nur Aussagen zu Details macht, die er absolut zweifelsfrei bezeugen kann. Macht er eine Aussage, muss sie sich mit der des anderen Zeugen decken. Gibt er ehrlich an, zum jeweiligen Detail nichts aussagen zu können, spielt dies keine Rolle.

5 Reaktionen zu “Über Zeugen (II)”

  1. HF

    Diese Vorschriften zu „Zeugen“ sind – so ich es richtig verstanden habe – dem Bestreben geschuldet, Gerechtigkeit walten zu lassen. Es geht um Glaubwürdigkeit und verursachungsgerechte Zuordnung der Verantwortung für ein Tun oder Unterlassen. Ein universelles Prinzip?

    Das Grundprinzip ist ja auch in unserer Rechtsordnung (aus der Thora entstanden?) verankert. Interessant für das Verständnis der Entwicklung eines/unseres Rechtssystems.

  2. Benjamin Stein

    Interessant finde ich vor allem die Unterschiede zwischen Torah-Gerichtsbarkeit und unserem Rechtssystem. Wir werden noch dazu kommen. Ein Urteil darf bspw. nie auf Basis der Aussage des Beschuldigten gefällt werden. Das ist genau das Gegenteil bspw. der Rechtspraxis der Kirche, der nach ein »Geständnis« Voraussetzung war für eine Verurteilung.

    Auch fehlt der Torah-Gerichtsbarkeit bspw. das Element der Vergeltung. Es geht entweder um (finanziellen) Ausgleich oder um den Schutz der Gesellschaft: »Du sollst das Böse fortschaffen aus deiner Mitte.« Die Vollstreckung eines irrtümlichen Todesurteils aber wäre Mord.

    Daher die extremen Sicherheitsmaßnahmen in Verfahren um Kapitalverbrechen: Indizienprozesse gibt es nicht. Für eine Verurteilung braucht es 2 Augenzeugen, die den Täter vor der Tat gewarnt haben müssen, dass es sich um ein Kapitalverbrechen mit Todesstrafe handelt. Wird die Tat dann trotzdem ausgeführt, steht fest, dass sie vorsätzlich geschehen ist und im vollen Wissen um die Konsequenzen.

  3. HF

    Hochinteressant – ich bin auf die Fortsetzung sehr gespannt!

  4. Über Zeugen (III/1) « Turmsegler

    […] דלת בפני לוין אין עדי ממון צריכין דרישה וחקירהDas heißt:Derishot und Chakirot sind erforderlich sowohl in Verfahren über Geldangelegenheiten (dinei mamanot) als auch in […]

  5. Über (falsche) Zeugen « Turmsegler

    […] die gleiche Einschränkung gilt, ist umstritten.Aus diesen Umständen wird klar, warum die Chakirot (Wann? Wo?) so wesentlich sind. Nur wenn die Zeugen absolut detaillierte und unzweifelhafte Angaben […]

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