El sueño de la razón

14. Januar 2010

Fracisco de Goya: El sueño de la razón produce monstruos
Fracisco de Goya: El sueño de la razón produce monstruos

Eine Übersetzung ist etwas anderes als eine Interpretation, obwohl sie, zugegeben, Interpretation nicht immer vermeiden kann. Wer etwa den berühmten Goya-Satz (im »Capricho 43«) »El sueño de la razón produce monstruos« übersetzt, muß ihn interpretieren: entweder »Der Schlaf« oder dann »Der Traum der Vernunft erzeugt Ungeheuer« – einfach weil »el sueño« beides heißen kann. Die spanische Sprache entscheidet sich hier nicht, sie hat nur ein Wort für beides, und dies »funktioniert« auch, weil im Normalfall der Verwendung ja klar ist, ob Schlaf gemeint ist oder Traum. Entweder also die Ungeheuer entstehen dadurch, dass sich die Vernunft, metaphorisch geredet, zur Ruhe begibt, also einschläft, oder (es wäre etwas ganz anderes) dadurch, dass die Vernunft träumt. Entweder also ist das aufklärerische Kritik am Irrationalismus oder aber, gerade umgekehrt, antiaufklärerische Kritik an einer selbstherrlichen, sich träumend überhebenden Vernunft.

Hans-Martin Gauger: »Was ist eine Übersetzung?«
Aus: »akzente« 6/2009, S. 519

••• Der Verlag brauchte gestern die englische Übertragung eines Satzes aus der »Leinwand«. Zichroni sagt gleich zu Beginn seines Teils des Buches: »Unsere Erinnerungen sind es, die uns zu dem machen, was wir sind.« Ein einfacher Satz, dachte ich, aber um eine Übersetzung war ich dann doch verlegen. Die zwei Vorschläge, die der Verlag unterbreitete, stellte die Herzdame via Facebook ihren englischsprachigen Freunden zur Diskussion. Man glaubt nicht, wie viele Varianten da genannt wurden.

Natürlich wollte ich eine Übertragung, die nicht nur die Aussage exakt beibehält, sondern möglichst auch den Rhytmus, insbesondere die Betonung auf »Erinnerungen«. Worauf haben wir uns geeinigt?

It is our memories that make us who we are.

Keine Frage: Eines Tages vielleicht eine englische Übersetzung der »Leinwand« beschert zu bekommen, wäre eine gewaltige Freude für mich. Allerdings frage ich mich – da ich ja auch viel Englisch lese – heute schon, wie fremdartig es sich für mich wohl anfühlen würde, diese Übersetzung zu lesen…

Passend zu diesem kleinen Übertragungsintermezzo konnte ich – das Grasnick-Nachwort ist nun endlich fertig – die vom letzten Jahr noch ungelesen daliegenden »akzente« 6/2009 zur Hand nehmen. Auch dort wird in zwei Beiträgen (Hans-Martin Gauger und Imre Kertész) das literarische Übersetzen thematisiert. Zwei sehr interessante Essays. Die beiden Ausschnitte daraus wollte ich mir merken. Darüber kann man noch länger nachdenken und diskutieren.

… daß nicht nur die Vernunft nicht universal ist, wie Hegel es doch seinerzeit postulierte, sondern auch die Kultur nicht. Die Sprache besitzt einen spezifischen Aspekt: Die bloße Darstellung, der souveräne Gebrauch der Sprache, um etwas zu vergegenwärtigen, das heißt, die Objektivierung bedeutet eigentlich Macht. Magische Macht natürlich, aber sie kann auch zu einem geistig prägenden Faktor, also einer realen Macht werden.

Imre Kertész: »Canetti übersetzen«
Aus: »akzente« 6/2009, S. 526

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