Der Stachel der Romantik

13. August 2009

Franz Fühmann
Franz Fühmann (1922-1984)

••• Beim Umräumen der Unordnung in meinem Arbeitszimmer fiel mir vor ein paar Tagen eine noch ungelesene »Sinn und Form« in die Hand, die erste Ausgabe dieses Jahres vom Januar/Februar. Ein Glücksfund. Das Jahr begann nämlich – von mir unbemerkt – mit einem Essay von Gunnar Decker über die kurze, aber Aufsehen erregende Rückbesinnung einiger DDR-Autoren Ende der 1970er, Anfang der 1980er Jahre auf – die Romantik. Ich erinnerte mich spontan an Hermlins »Abendlicht« und Christa Wolfs »Kein Ort. Nirgends«. Und tatsächlich, bestätigt mir Decker, gehörten jene zu den konterrevolutionären, romantischen Verschwörern.

Einer unwürdigen Beschäftigung gingen diese Autoren nach, denn »Die Kunstrichtung der Romantik bestand aus zehntausend Autoren, deren Namen wir alle vergessen haben. Keiner von ihnen vermochte zu schreiben.« So Peter Hacks.

Überhaupt, so Hacks, seien aIle Romantiker Verschwörer […] : »Das erste Auftauchen der Romantik in einem Land ist wie Salpeter in einem Haus, Läuse auf einem Kind oder der Mantel von Heiner Müller am Garderobenhaken eines Vorzimmers. Ein von der Romantik befallenes Land sollte die Möglichkeit seines Untergangs in Betracht ziehen.«

Wie weitsichtig Hacks da in seiner ungestümen Parteilichkeit war!

Literatur in der DDR – so sie eine Rolle spielen wollte – hat gedient oder ist ausgewichen. Die Ausweichbewegungen waren mitunter künstlerisch außerordentlich fruchtbar. Ich sehe darunter auch Bücher wie Stefan Heyms »Ahasver« und den »König David Bericht«. Weitere Beispiele ließen sich finden, Bücher, an die ich mich heute noch gern erinnere. Die oben genannten Titel zählen dazu. Ich bin kein Fan von Christa Wolf. »Kein Ort. Nirgends.« ist das einzige Buch von ihr, dass ich nicht nur begeistert zu Ende, sondern mehrfach gelesen habe.

Und wer war der Rädelsführer dieser Romantikerverschwörung? Kein geringerer als Franz Fühmann. Wohl wissend, wie schlecht es um die Reputation der Romantik in der DDR stand, in der der Sozialistische Realismus des »Bitterfelder Weges« zur künstlerischen Staatsdoktrin erhoben war, hielt er in der Ost-Berliner Akademie einen Vortrag über E. T. A. Hoffmann. Noch 1964 hatte Fühmann selbst die Romantik als eine »reaktionäre Literaturströmung« bezeichnet. Als er 1976 aus Anlass des 200. Geburtstages E. T. A. Hoffmanns zu seiner Akademie-Rede anhub, hatte sich diese Einstellung gehörig gewandelt. »Die Romantik hat Modelle neuer Erfahrung geschaffen«, gab er da zu Protokoll, nur dezent eingeschränkt durch den Nachsatz: »Die Frage ist nur, ob sie heute noch taugen.«

Freunde hat sich Fühmann mit seinem Einsatz für die Romantiker nicht gemacht – und zwar nicht nur in der DDR. Die arrivierte Germanistik stand den Romantikern »hüben« wie »drüben« derart ablehnend gegenüber, dass der Dichter sich gröbste Kritiken anhören musste. Samthandschuhe? Fehlanzeige. Damals ging es richtig zur Sache.

Mit Professorenhochmut hat er in dieser Zeit überhaupt viel zu kämpfen. Fühmann zählt nach dem November 1976 nicht viel im Staate, man muss ihn gesellschaftlich nicht ernst nehmen. Das zeigt sich an seiner Begegnung mit dem Kulturwissenschaftler Hans Koch, wiederum einem Professor – eine wie von E. T. A. Hoffmann erfundene Szene mit Fühmann in der Rolle des irrelevanten Privatiers. Am 4.4.1983 schreibt er an Adolf Endler: »jener Freund und Gönner, Prof. Dr. Hans Koch, begegnete mir neulich bei den Ungarn, etwas sehr voll schon des süßen Weines, und er legte die Stirn in Falten und sagte bedauernd, er möchte gern 1 Kritik über mich schreiben, er habe meine Gesammelten Werke gelesen und immer laut schreien wollen von wegen dem Zeug, was da an Dummheit drinstände, es sei auch zum Gottserbarmen, wie ich von einem guten Dichter zu so einem elenden Skribenten abgerutscht bin (Standardkritik jenes offiziellen Kritikers vom Dienst auf jeder Lesung außerhalb der Kirche) – also es jucke ihn in den Fingern, und ich sag: Laß doch nicht umsonst jucken, Kumpel, schreib doch – ich tät allerdings dann gern antworten, und da kraust er die Stirn noch krauser und ruft wörtlich: ‚Aber das ist es ja gerade!!!!‘ – also man kann mir in meiner Unwissenschaftlichkeit und meinem philosophischen Wirrkopf wahrhaftig nicht auch noch die Spalten der Presse öffnen, schlimm genug schon, daß dieser Kerl überhaupt hier gedruckt werde (was er ehrlich zugab, nicht zu verstehen) – also das, bittesehr, müsse ich aber einsehn, daß ich nicht auch noch die Presse – ja, und dann neigte der Große Gönner seinen Kopf sehr schräg und sagte, Tränlein in den Kulleraugen, er werde aus diesem Grund darauf verzichten, die vernichtende Kritik zu schreiben – da ich ja nicht antworten dürfe, wolle er mir die Vernichtung nicht antun, und ich drückte spontan seine Rechte und sagte: Professor, wie bist du doch edel, aber edel sei ja der Mensch, hilfreich, gut und parteilich, und da nickte er gerührt mit dem Kopf und entschwand.«

Gunnar Decker: »Der Stachel der Romantik«
aus: »Sinn und Form« Januar/Februar 2009

Nun ja, mag man heute denken: Was kümmert es einen Fühmann, wenn sich ein Koch dran schuppert?!

Ältere Ausgaben der »Sinn und Form« kann man übrigens ebenso bestellen wie ein Abo der kommenden Ausgaben.

Eine Reaktion zu “Der Stachel der Romantik”

  1. Romantische Verschwörer at Peter-Hacks.de Peter Hacks Seite

    […] Schriftsteller Benjamin Stein berichtet in seinem Webblog Turmsegler über die Rückbesinnung einiger DDR-Autoren am Ende der 70er Jahre, Anfang der 80er Jahre auf die […]

Einen Kommentar schreiben

XHTML: Folgende Tags sind verwendbar: <a href="" title=""> <abbr title=""> <acronym title=""> <b> <blockquote cite=""> <cite> <code> <del datetime=""> <em> <i> <q cite=""> <s> <strike> <strong>