Es will mir nicht einfallen

16. Juli 2008

[…] Der Koffer selbst allerdings war hin.

Ein Problem war das nicht, denn wenige Tage später kündigte ich meine Stelle bei der Zeitschrift, weil…

Das ist nun wirklich merkwürdig; und ich würde lügen, behauptete ich, nicht beunruhigt zu sein. Tatsächlich kann ich mich im Moment nicht erinnern, warum ich damals gekündigt habe.

Warum wollte ich – noch dazu ausgerechnet nach dieser Amerika-Reise – nicht mehr als Redakteur arbeiten? Ich weiß es nicht. Ich muss sogar einräumen, dass ich augenblicklich allenfalls annehme, selbst gekündigt zu haben. Sicher bin ich mir nicht.

Ich sehe mich noch, wie ich mit dem lädierten Koffer die Treppen hinabstieg, um ihn in die Mülltonne im Hof zu werfen. Ich hatte dabei das bestimmte Gefühl, dass ich ihn ohnehin nicht mehr brauchen würde, weil die zurückliegende meine zumindest vorerst letzte Dienstreise gewesen sein und ich sobald auch privat keine jener Flugreisen mehr unternehmen würde, bei denen mir dieser Koffer jeweils so unentbehrlich gewesen war. Ich erinnere mich auch sehr deutlich, dass ich es – wahrscheinlich aus eben diesem Grund – keineswegs als Verlust empfand, ihn nun der Müllabfuhr zu überlassen.

»Der Mohr hat seine Schuldigkeit getan. Der Mohr kann gehen.« Tatsächlich waren mir diese Worte durch den Kopf gegangen, als ich den Deckel der Mülltonne öffnete. Sie war leer und roch muffig, leicht sauer, wie verdorbene Milch. Es nieselte. Ich erinnere mich deutlich. Alle Details jenes Augenblicks sind präsent. Umso unverständlicher und wirklich beunruhigend ist es, dass mir partout nicht einfallen will, warum ich bereits an jenem Abend geglaubt hatte, der Koffer wäre – lädiert oder nicht – ohnehin entbehrlich geworden.

Vielleicht irre ich mich auch, und ich hatte bereits gekündigt. Oder es hatte einen Vorfall gegeben, der mich fest davon ausgehen ließ, dass ich unweigerlich gekündigt werden würde. Das ist ebenso möglich. Aber es will mir nicht einfallen. Eigenwillig. Ich kann mich für gewöhnlich auf mein Gedächtnis verlassen.

aus: „Die Leinwand“ (Jan Wechsler)
© Benjamin Stein (2008)

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