Drei Leben für einen Dollar

8. Juli 2008

Selbstmord ist die einzige Todesursache, die zu 100% vermeidbar ist.

••• Es ist absurd. Eine privat gegründete Organisation, von tausenden freiwilligen Helfern getragen und bislang von der (amerikanischen) Regierung unterstützt, muss nun einen heftigen Strafzoll zahlen, weil sie nicht bereit war, sich von der Regierung übernehmen zu lassen. Die kritischen Punkte: Datenschutz und Menschlichkeit. Staatliche Zusagen zum Datenschutz? Fehlanzeige. Als hier vor Monaten jemand via Google nach Selbstmordarten suchte, habe ich die Nummern der Telefon-Hotlines im deutschsprachigen Raum gepostet. Diese Organisation in USA verdient, wie ich finde, Hilfe. Mit einer Spende von einem Dollar ermöglichen Sie, dass drei Anrufe von Hilfesuchenden entgegengenommen werden können.

Im Talmud heißt es: „Wer ein Leben rettet, rettet die Welt“. Hilfe für drei Menschen an der Schwelle des Selbstmords? Für einen Dollar. Das ist preiswert.

via: PostSecret.com

6 Reaktionen zu “Drei Leben für einen Dollar”

  1. La Tortuga

    Selbstmord ist die einzige Todesursache, die zu 100% vermeidbar ist.

    Das ist doppelt unwahr – erstens ist Selbstmord nicht immer vermeidbar und zweitens gibt es viele wesentlich vermeidbarere Todesursachen (Autounfälle beispielsweise). Aber heutzutage wird halt oft so getan, als sei der Tod überhaupt vermeidbar – sagt der Sensemann auf der Couch zum Psychiater: „Ich fühle mich, als wäre ich nur ein ungelöstes medizinisches Problem.“

    Die Haltung dieser Organisation ist bewundernswert, und vor allem ist sie nicht nur politisch, sondern auch religiös unabhängig. Aber ich finde, die Unterstützung sollte auf jederzeitige Gesprächsangebote und konkrete, handfeste Hilfe wo nötig beschränkt bleiben (mehr kann man zwar ohnehin nicht tun, aber es geht ums „mission statement“). Wenn man Verhinderung von Selbstmorden zum Ziel erklärt, zementiert man weiter das Stigma und stellt die Entscheidungsfreiheit des Menschen in Frage. Wenn man hier jeweils die Anti-Suizid-Plakate sieht – meist christlich-fundamentalistischer Prägung – dann möchte man sich gleich davor demonstrativ die Plastiktüte über den Kopf ziehen.

  2. Benjamin Stein

    Wenn man Verhinderung von Selbstmorden zum Ziel erklärt, zementiert man weiter das Stigma und stellt die Entscheidungsfreiheit des Menschen in Frage.

    Das sehe ich nicht so – zumindest nicht, was diese Organisation oder ähnliche Hotlines angeht. Hier geht es um Krisenintervention. Wer dort anruft, sieht im Selbstmord eine Option, ist verzweifelt, und oft braucht es „nur“ ein richtiges Wort, um ihn/sie auftauchen zu lassen aus der Wolke, die alle übrigen Optionen verbirgt.

    Natürlich ist das Zitat ein „Slogan“. Die Idee dahinter: Wer immer Hilfe sucht in einer solchen Situation, der soll mit einem Anruf (der vielleicht schon schwer genug fällt) auch Hilfe finden.

    Die von Dir erwähnten christlich-fundamentalistischen Anti-Suizid-Plakate kenne ich nicht. Aber ich kann mir vorstellen, in welche Richtung das geht bzw. aus welcher Richtung da der Wind weht. Nein, Stigmatisierung und Belehrung hilft niemanden, der sich in einer solchen Lage befindet. Da stimme ich Dir sofort zu.

  3. La Tortuga

    Ja, ich bin mit allem einverstanden. Es geht mir nur um die Betitelung, man könnte es doch wirklich „Krisenintervention“ nennen, oder wie hierzulande „dargebotene Hand“ etc. Erfahrungsgemäss ist ja die einzige richtige Reaktion gegenüber einem Suizidwilligen, ihm den Druck zu nehmen indem man ihm sagt, dass man jederzeit da ist, dass man seine Entscheidung aber respektieren würde. „Ausreden wollen“ wirkt absolut kontraproduktiv, erhöht nur den Druck. Weshalb ich finde, dass eine solche Organisation nicht „suicide“ im Namen führen sollte – dazu kommt noch, dass diejenigen Verzweifelten, die nicht an Selbstmord denken, genauso viel Anspruch auf Unterstützung haben.

  4. perkampus

    ich hätte selbst einmal beinahe bei einer derartigen hotline arbeiten müssen. ich kam drum rum, weil ich glaubhaft versichern konnte, dass ich – würde ich das jemanden ausreden müssen – mich zu einem essentiellen lügner deklassieren würde. es ist – nicht grundsätzlich, aber doch zu einem großen teil – das selbe procedere wie in der klappsmühle: man macht krank und stellt dann ab oder ruhig, oder man sortiert aus, was nicht nach wirtschaftlichen und politischen richtlinien funktioniert. der tatsächliche selbstmord geschieht nicht aus verzweiflung sondern aus einer tiefen und irreparablen trauer der seele heraus. natürlich gilt es, zu unterscheiden, welches klientel tatsächlich nur hilfe sucht. die sterben dann meist nur aus einem unfall heraus ohne eine eigentliche absicht dahinter erkennen zu lassen, außer dass sie ihren hilferuf unterstreichen wollen.

    das ausscheiden aus dem leben sollte nicht in eine wiedereingliederung müden. therapeuten, die das versuchen, sind fehl am platz. wer sterben will, muss sterben dürfen.

  5. La Tortuga

    Ja, genau das!!!

    Es muss nämlich auch dieses leidige „Aber warum?“ aufhören – wer so fragt, hat nichts begriffen. Selbstmorde, die einen „Grund“ haben (sagen wir der gefeuerte CEO wirft sich aus dem 18. Stock), sind tatsächlich Unfälle. Es gibt keine Kausalität beim eigentlichen Selbstmord, es ist eine innere Notwendigkeit, und dem darf sich definitiv niemand in den Weg stellen. Verzweiflung aus vermeintlichen Gründen (Liebesfreundschaftsgeldlebensdinge) ist eher ein Gegengrund, den Tod noch hinauszuschieben – ein Selbstmörder aus innerer Notwendigkeit würde also auch kaum die Hotline anrufen, denn dann, wenn er bereit ist, geht es ihm gut. Er würde auch niemals so etwas sagen wie „wenn du mich verlässt, bring ich mich um“ – eben weil er nicht um Hilfe ruft. Letztlich ist die Hotline für Menschen in irgendeiner Gefahr, nicht für Selbstmörder.

  6. perkampus

    vollkommen richtig ausgeführt.

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