Königlich

4. April 2007

Veil to silence by SeaFairy@deviantart.com

Möge er mich küssen mit den Küssen seines Mundes, denn deine Liebkosungen sind köstlicher als Wein. Lieblich duften deine Öle, gleich Öl verbreitet sich dein herrlicher Name, darum lieben dich die Mädchen. Ziehe mich dir nach, lass uns dahineilen; der König hat mich in seine Gemächer gebracht, wir wollen jubeln und uns mit dir freuen, wollen deiner Liebkosungen gedenken, die köstlicher sind als Wein; zu Recht lieben sie dich. Schwarz bin ich, doch anmutig, ihr Töchter Jeruschalajims, gleich den Zelten Kedars, gleich den Teppichen Schlomos. Betrachtet mich nicht, weil ich geschwärzt bin, denn gebräunt hat mich die Sonne; die Söhne meiner Mutter haderten mit mir, machten mich zur Hüterin der Weinberge, doch meinen Weinberg habe ich nicht gehütet. Sage mir, du, den meine Seele liebt, wo weidest du deine Herde, wo lässest du sie lagern am Mittag; denn warum soll ich gleich einer Verhüllten sein bei den Herden deiner Gefährten?

Shir ha-Shirim shel Shlomo
Hohelied Salomos, Kapitel I

••• Vom verhüllten Angesicht Gottes – Hester Ponim – war hier schon einmal die Rede. An Pessach ist alles anders. Pessach – das ist das Fest der Befreiung aus der Sklaverei. An Pessach sind Gott und Israel die Liebenden, als die sie das Hohelied Salomos beschreibt.

Sklaven waren wir einst dem Pharao in Ägypten. Da führte uns der Ewige, unser Gott, von dort heraus – mit starker Hand und ausgestrecktem Arm. Hätte der Heilige – gelobt sei er – unsere Väter nicht aus Ägypten geführt, wären wir und unsere Kinder und unsere Kindeskinder Sklaven dem Pharao in Ägypten geblieben. Wären wir auch alle Weise, mit Vernunft begabt und erfahren und gelehrt, es bliebe dennoch unsere Pflicht, vom Auszug aus Ägypten zu erzählen. Wer viel vom Auszug aus Ägypten erzählt, ist lobenswert.

Haggadah shel Pessach

An den ersten beiden Abenden des Festes wird der Pessach-Seder gefeiert, an dem die Haggadah gelesen wird, der Bericht der Versklavung und der Befreiung aus der Sklaverei. In ihr heisst es:

In jeder Generation soll der Mensch sich betrachten, als sei er selbst aus Ägypten gezogen. So heisst es: „An jenem Tag erzähle deinem Sohn: Dafür hat Gott es für mich getan, als ich aus Ägypten gezogen bin.“ Nicht allein unsere Väter hat der Heilige – gelobt sei er – erlöst. Auch uns hat Er mit ihnen zusammen erlöst.

Haggadah shel Pessach

Wir sollen uns fühlen, als wären wir selbst aus Ägypten gezogen. Damit uns das gelingt, gibt es die Freude am Pessach-Fest ebenso wenig umsonst wie die Befreiung selbst. Kein Fest hat so viele Vorschriften wie Pessach. Die Speisevorschriften, die generell gelten, werden an Pessach um etliches verschärft. So muss man nicht nur die ganze Wohnung auf den Kopf stellen, um alles Gesäuerte fortzuschaffen. Man muss auch das milchige und fleischige Geschirr, das man übers Jahr verwendet, verpacken und das Pessach-Geschirr auspacken. Der Herd und alle Gegenstände, die ganz aus Metall bestehen, müssen gekaschert (für Pessach koscher gemacht) werden, was eine – nicht ungefährliche – Kunst für sich ist.

Am Morgen vor dem Fest wird schliesslich das letzte Gesäuerte – Chomez – aus dem Haus gebracht. Dann gehts los mit dem Kochen. Immerhin sind vier festliche Mahlzeiten an den ersten beiden Feiertagen zu bestreiten, und alles muss vorher gekocht sein. Ist auch das geschehen, und man hängt – völlig übernächtigt und nur noch als halbe Seele – in den Seilen, fängt bei Nacht der Seder an, der nicht selten bis zu 4 1/2 Stunden dauert (Essen glücklicherweise inklusive).

Dieses Jahr habe ich die ersten Pessachtage geniessen können wie vielleicht noch nie. Die neue Wohnung, in die wir nicht ohne Grund knapp vor Pessach umgezogen sind, ist eine solche Befreiung für mich, dass es kaum zu beschreiben ist. Es hat Raum! Es ist hell! Und es ist uns sogar gelungen, vor dem Fest noch aus den Kisten zu kommen. Ein paar Kleinigkeiten stehen noch auf dem gigantisch langen Flur; und im Büro warten die Bücher meiner Frau noch darauf, in die Regale sortiert zu werden. So ist gerade noch genügend Gefühl von Unterwegssein da, doch viel mehr Gefühl, angekommen zu sein in einer neuen, passenderen, befreienderen Umgebung. Sogar den Kleinnazi von gegenüber muss ich nun nicht mehr auf seinem Balkon sitzen und gaffen sehen und schimpfen hören.

Ich begreife nicht, warum ich nicht in den Jahren zuvor wie dieses Mal schon vor dem Fest Urlaub genommen habe. Wir waren noch nie so früh startbereit wie dieses Mal. Natürlich stand ich auch dieses Jahr noch gegen 2:30 in der Küche beim Kaschern des Bestecks und des Silbers. (Das ist die kleine Aufgabe, die mir zufällt, nachdem meine Frau, ohne die ich vollständig aufgeschmissen wäre vor und während Pessach, die eigentliche Arbeit schon erledigt hat!) Aber das war es dann auch.

Für gewöhnlich werden wir in buchstäblich letzter Sekunde fertig. Meist werfe ich das letzte Chomez – in Gestalt des Staubsaugerbeutels – in die Mülltonne, wenn wirklich nur noch Sekunden bleiben bis zu dem Moment, da man kein Chomez mehr besitzen darf. Dieses Jahr war das anders. Wir hatten sogar Zeit, entspannt mit den Kindern zum öffentlichen Chomez-Verbrennen zu gehen. Sie durften zwei alte Pitas in die Flammen werfen und waren sehr beeindruckt. Als wir zurück waren, nahm ich mir die Bücherkisten vor und brachte alles an Ort und Stelle, lange bevor es Zeit war, sich für die Synagoge umzuziehen.

Heute schliesslich lag ich nachmittags wie ein König auf dem neuen roten Sofa im Salon, während die Kinder ihr fürstliches Kinderzimmer bespielten. Und zwischendurch sah ich auf von der Lavant-Lektüre (nicht wirklich feiertagsgerecht, aber pssst…) und fühlte mich – königlich und geliebt.

4 Reaktionen zu “Königlich”

  1. Hilbi

    Weia, was für eine Schönheit, ich kipp vom Stuhl, das solltest Du nicht so oft machen, wir haben eine große Stuhlknappheit

  2. Hilbi

    Das hört sich nach einem sehr feinen Fest an, nur wenn wir das hier feiern müssten, bräuchten wir Tage bis alles koscher ist.

  3. Benjamin Stein

    @Hilbi: Es geht bei diesem Bild ausschliesslich um den Schleier! Wo hast Du denn wieder hingeschaut?

    Ja, was glaubst Du denn, wie lange es bei uns braucht? Das geht auch nicht an einem Tag. Nur, wenn man grad umzieht…

  4. Hilbi

    Ach der Schleier, entschuldigung, ja….stimmt….weia ist die schön….na gut, ich bin ja schon still

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