Handwerker mit Marotte

21. März 2007

Antonio Skármeta••• In Berlin-Friedrichshagen, wo ich aufgewachsen bin, gab es zwei Biliotheken. Eine für Kinder und eine für Erwachsene. Die Kinderbibliothek lag prominent, direkt auf der Bölschestrasse, die zu früheren Zeiten einmal des Fritzen Seidenpromenade hinunter zum Müggelsee gewesen war. Sobald ich lesen konnte und mir die ABC-Bücher nicht mehr ausreichten, wurde ich dort angemeldet. Wir hatten es finanziell nicht so üppig; und bei meinem Lesehunger mussten es geborgte Bücher auch tun. Taten sie auch. Eine Zeit lang jedenfalls. Dann hatte ich mich wurmgleich durch die Bestände gefressen. Ich hatte auch für mein Alter etwas unpassende literarische Interessen. Kurz: Ich wollte in diese andere Bibliothek, die für die Erwachsenen, für die ab 18, die abseits lag, in einer Seitenstrasse unserer Prachtallee. Es gab da nur einen Haken: Ich war halt erst 12.

Meine Mutter hat aber gleich eingesehen, dass das keine Rolle spielen dürfe, und ist mit mir dorthin. Es hat sie einige Mühe gekostet; aber irgendwie führte dann doch ein Weg zum Ziel, und ich bekam den ersehnten Bibliotheksausweis und damit den Zugang zu dem durchaus guten Bestand dieser Bibliothek. Dort fand ich auch Antonio Skármeta, und zwar alle seine auf deutsch erschienenen Romane und Erzählungen, und ich habe sie mir der Reihe nach einverleibt.

Skármeta hat so eine persönliche Marotte. Die Vokabel tut ihm vielleicht unrecht. Aber ich empfinde es so. In (fast) jedem Roman gibt es – so circa um Seite 123 herum – eine explizite erotische Szene. Das hat mir als Pubertierenden die Lektüre der Romane bis hin zu diesem erzählerischen Meilenstein jeweils stark versüsst. Er hätte sich quasi alles erlauben können, sogar ganz furchtbar langweilig zu sein (was er nie war); ich hätte doch zumindest bis zu dieser Stelle durchgehalten.

Beim Neruda-Roman kommt die gestern erwähnte Szene zwischen Mario und Beatriz schon etwas früher. Ist halt ein schmales Buch, da musste Skármeta sich ranhalten. Als ich an die Stelle kam, las ich sie entsprechend: rotwanging, enghosig. Der Autor hatte mich nicht um das obligatorische Bonbon betrogen – und gut. Was mir viel später an diesem Kapitel auffiel, war damals also ganz unentdeckt geblieben…

Ich halte ja viel von der klassischen Ausbildung der Bildenden Künstler. Die müssen alle erst einmal brav nach der Natur malen, zeichnen oder modellieren, bevor sie Revolution machen dürfen. Bevor das Handwerkszeug nicht schlafwandlerisch beherrscht wird, braucht gar nicht begonnen zu werden mit den ablehnenden Diskussionen betreffs überlebter Stile, Formen, Varianten oder gar „Malverweigerung“ etc. Ich kann mir vorstellen, dass mancher einen Skármeta leicht beiseite wischt und als konventionellen Autor abtut. Aber Moment.

Warum, habe ich mich gefragt, lässt Skármeta dieses Kapitel in der Wirtschaft der Doña Rosa beginnen? Was hat das Techtelmechtel mit der gewonnenen Wahl zu tun? Und wenn man schon einmal anfängt zu fragen, dann ist es auch auffällig, dass dieses Ei so eine grosse Rolle spielt bei diesem ersten intimen Zusammensein der beiden. Schliesslich sorgt Skármeta auch noch dafür, dass ausgerechnet der unterlegene Abgeordnete Labbé bei seiner Ankunft begrüsst wird mit „sácate la cola!“, was laut Fussnote in meiner Ausgabe so viel heissen soll wie: „Jetzt lässt er den Schwanz hängen!“

Das Stelldichein findet am Tag des Wahlsieges statt. Geschrieben ist das Kapitel im Exil, als Allende bereits ermordet war; und die besseren Zeiten, in deren Erwartung die Stimmung an jenem Abend so ausgelassen gewesen war, hatten sich nicht eingestellt. Was uns Skármeta hier bietet, ist eine Parabel auf das unerfahrene Greifen zur Macht, den Eiertanz der Revolution. Und während die Augen noch leuchten in Erwartung der Erlösung, ist es schon wieder vorüber mit den Träumen und dem besseren Leben.

„Es ist doch schon gekommen, du Dummer.“ – Die haben sich das alle zu leicht vorgestellt, der Mario das mit den Frauen und der eruptiven Liebe, die Kommunisten das mit der demokratisch herbeigeführten Revolution.

So im Vorbeigehen muss man eine solche Parabel erst mal hinbekommen, ohne eine Spur von Aufdringlichkeit, pendelnd zwischen Resignation und fatalistisch angehauchter Verschmitztheit. Der Mann hat sein Handwerkszeug gelernt.

Mein „Hut lüftet sich leis“.

4 Reaktionen zu “Handwerker mit Marotte”

  1. Hilbi

    So früh hast Du schon angefangen zu lesen. Ich weiß gar nicht wann ich mir ausgesucht habe was ich lesen möchte. Zum Geburtstag hatte ich mal ein Bonanza Buch geschenkt bekommen, da war ich elf oder zwölf, aber gelesen habe ich das nie, ich glaub ich war ziemlich enttäuscht, weil keine Fotos drin waren. Mein erstes Buch dass ich gelesen hab war aber ganz sicher „Wer die Nachtigall stört“, das hatte ich mir auch aus der Stadtbibliothek ausgeliehen, ich hätte mir nie ein Buch gekauft, das bißchen Taschengeld brauchte ich dringend für Schokolade. Allerdings roch es in der Stadtbibliothek sehr streng und sehr alt und ich habe mir schnell das Buch genommen, es abstempeln lassen und mich aus dem Staub gemacht, ich glaub ich weiß sogar noch wo ich zuerst mit dem Buch hinging, in den Supermarkt, Schokolade kaufen.

  2. Benjamin Stein

    Mein erstes „grosses“ Buch war „Dr. Aibolit“. Das ist das russische Pendant zu „Dr. Dolittle“. Das war in der 3. Klasse. Ab da war ich infiziert. Um ehrlich zu sein, weiss ich nicht mehr genau, wann meine Mutter mich in der Erwachsenen-Bibliothek angemeldet hat. Den Skármeta habe ich aber mit Sicherheit später gelesen. Ich erinnere mich noch genau an eine Situation, als ich 14 war. Da hatte ich einen Skármeta-Roman dabei: „Ich träumte, der Schnee brennt“.

    Ich musste auch früh anfangen, weil ich langsam lese :-)

  3. Hilbi

    Oha, ich war in der dritten Klasse von Max und Moritz fasziniert, besonders hat mir der erste Streich gefallen, als sie die Brathähnchen stahlen. Überhaupt habe n mir alle Streiche gefallen, aber irgendwie gehts ja nicht so gut für die zwei aus.

    Ach so..deshalb durfte ich erst später anfangen, weil ich so schnell lese

  4. SuMuze

    So im Vorbeigehen muss man eine solche Parabel erst mal hinbekommen, ohne eine Spur von Aufdringlichkeit, pendelnd zwischen Resignation und fatalistisch angehauchter Verschmitztheit. Der Mann hat sein Handwerkszeug gelernt.

    Dein Beitrag hat mich beeindruckt, du hast zurückhaltend und überzeugend geschrieben. Ich kenne Skarmeta (noch) nicht und werde das schleunigst nachholen. Dankeschön für diese Anregung!

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