Die Ballade von den Mädchen

17. Januar 2007

Plum

Die Ballade von den Mädchen, die keinen Mann mehr finden

Sie haben alle einen Abend lang
und hautnackt blank
im grünen Gras gelegen.
Und haben da in solcher Nacht
den Mann um seinen Schlaf gebracht,
sie wußten wohl weswegen.
Das war im Sommerjahr ihr schönster Traum,
denn winters grünt im Wald kein Pflaumenbaum.

Im Pflaumenbaum da sang die Nachtigall
noch manches Mal das Lied vom Sündenfall.
Und oben bei den Schafen
da stand ein fetter Mond und ließ
den Knaben, der so schön auf seiner Flöte blies,
die ganze Nacht nicht schlafen.
Er hat an das, was nachher kommt, gedacht
und in der Früh sich aus dem Staub gemacht.

Da banden sich die Mädchen einen Kranz ins Haar
und klopften an bei Jesu Engelschar,
daß er sie von den Bösewichtern
erlöse für und für.
Doch Petrus stand mit seinem Sarraß vor der Tür
und zeigte auf den See, da irrten sie herum, die Lichter,
die Angedenken aus der Pflaumenzeit
in einem dicken Würmerkleid.

So manche Frau trägt immer noch die Jungfernhaut,
obwohl ihr Haar schon dünn ist und ergraut.
Die ganze Nacht brennt in der Kammer Licht
und aus dem Spiegel grinst ein häßliches Gesicht.
Da möchte sie das Bild zerschmeißen.
Doch Glück und Glas, das reimt sich nie
auf Pflaumenbaum und Zitterknie.

François Villon, aus: „Die lasterhaften Balladen des François Villon“
Nachdichtung von Paul Zech
© 1962-2006 Deutscher Taschenbuch Verlag, München

••• Immer wieder Plagiate! Oder doch zumindest der Vorwurf des Plagiats. Sei es bei Paul Celan, bei Brecht – oder auch Paul Zech. Im Jahre 1929 wurde er wegen wohl berechtigter Klagen seiner Autorenkollegen aus dem Schriftstellerverband ausgeschlossen. Recht erholt hat er sich von diesem Skandal als Autor nicht. Erst posthum kam er nochmals zu Berühmtheit – neuerlich durch eine „Aneignung“, denn seine Nachdichtungen von Villon sind äußerst frei.

Entgegen der gängigen Annahme auch der Zech-Spezialisten handelt es sich hierbei nicht um eine Übertragung, sondern um eine äußerst freie Nachdichtung, d. h. um Texte im Stile Villons bzw. dessen, was Zech dafür hielt, denn seine Französischkenntnisse waren nur mäßig und die des Altfranzösischen sicher äußerst gering. Auch enthält der Villon bei näherem Hinsehen viele Anspielungen auf Zechs eigene enttäuschende Situation um 1930 und wirkt wie ein Versuch von deren literarischer Bewältigung.

[wikipedia.de]

Es kann nicht schaden, diese Texte zu lesen, ohne an die Erkenntnisse der Literaturwissenschaftler zu denken. Denn sie sind ungemein frisch, kraftvoll und poetisch stark.

Ich mußte bei diesem Text natürlich sofort an die „Erinnerung an die Marie A.“ von Brecht denken…

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