Todesfuge

6. Dezember 2006

Paul Celan spricht: Todesfuge

Schwarze Milch der Frühe wir trinken sie abends
wir trinken sie mittags und morgens wir trinken sie nachts
wir trinken und trinken
wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
er schreibt es und tritt vor das Haus und es blitzen die Sterne er pfeift seine Rüden herbei
er pfeift seine Juden hervor läßt schaufeln ein Grab in der Erde
er befiehlt uns spielt auf nun zum Tanz

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich morgens und mittags wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
Ein Mann wohnt im Haus der spielt mit den Schlangen der schreibt
der schreibt wenn es dunkelt nach Deutschland dein goldenes Haar Margarete
Dein aschenes Haar Sulamith wir schaufeln ein Grab in den Lüften da liegt man nicht eng

Er ruft stecht tiefer ins Erdreich ihr einen ihr andern singet und spielt
er greift nach dem Eisen im Gurt er schwingts seine Augen sind blau
stecht tiefer die Spaten ihr einen ihr andern spielt weiter zum Tanz auf

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags und morgens wir trinken dich abends
wir trinken und trinken
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith er spielt mit den Schlangen
Er ruft spielt süßer den Tod der Tod ist ein Meister aus Deutschland
er ruft streicht dunkler die Geigen dann steigt ihr als Rauch in die Luft
dann habt ihr ein Grab in den Wolken da liegt man nicht eng

Schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts
wir trinken dich mittags der Tod ist ein Meister aus Deutschland
wir trinken dich abends und morgens wir trinken und trinken
der Tod ist ein Meister aus Deutschland sein Auge ist blau
er trifft dich mit bleierner Kugel er trifft dich genau
ein Mann wohnt im Haus dein goldenes Haar Margarete
er hetzt seine Rüden auf uns er schenkt uns ein Grab in der Luft
er spielt mit den Schlangen und träumet der Tod ist ein Meister aus Deutschland

dein goldenes Haar Margarete
dein aschenes Haar Sulamith

Paul Celan (1920-1970)

••• Literatur ist nicht meine einzige Leidenschaft. Zu den anderen zählt die Musik. Meine Eltern besassen eine kleine, aber sehr gute Sammlung klassischer Schallplatten. Besassen: Denn ich habe sie so oft auf meinem musealen Plattenspieler laufen lassen, dass sie nach meinem Auszug daheim nicht mehr zu brauchen waren. Ich hatte schon früh die Vorstellung, Kompositionstechniken aus der Musik in die Textarbeiten zu übernehmen, Prosa wie Lyrik. Ich erzählte einer Freundin davon, und sie gab mir die „Todesfuge“ von Celan zu lesen.

So bin auf Celan seltsamerweise erst spät gestossen. Von Sommer bis Winter 1989 habe ich als Nachtpförtner in einem Altenheim gearbeitet. Ein Germanistik-Studienplatz war mir trotz Auszeichnungsabitur verwehrt worden, nachdem ich mich geweigert hatte, in der Nationalen Volksarmee als Grenzsoldat zu dienen. Lehrer hätte ich pikanterweise werden dürfen. Aber das wollte ich nicht.

In den ruhigen Nächten in der Pförtnerloge arbeitete ich an einem ambitionierten Projekt, einer Sonate in Prosa. Der Titel ist mir entfallen, das Thema ebenso. Das Manuskript fiel einer meiner regelmässigen Manuskriptvernichtungen zum Opfer. Gut möglich, dass die Lektüre der „Todesfuge“ Auslöser für eine solche Aktion war. Vor diesem Gedicht musste man demütig werden. Soll mir noch einer erzählen, Literatur sei keine Kunst! Celan hat die poetischen Versatzstücke – an sich schon stark genug – durch die Kompositionsanleihe bei der klassischen Fuge zu einem Stück Dichtung werden lassen, deren krafvollen Sog man sich nicht entziehen kann.

Ich wusste damals nichts von Immanuel Weissglas. Und hätte ich sein Gedicht schon gekannt, hätte ich kaum anders darüber gedacht als heute. Wer auch immer der ursprüngliche Autor des poetischen Materials war, das sich in der „Todesfuge“ findet, Celans „Vertonung“ geht so weit über den traditionellen Stil des Weissglas-Gedichts hinaus, dass man unter keinen Umständen von Plagiat reden kann. Celan befreit vielmehr die poetischen Ideen aus dem Korsett des Versmasses, in das sie bei Weissglas gezwängt scheinen. Er ist der Virtuose. Als hätte er nie etwas anderes getan als zu komponieren, schenkt er uns rein mit Mitteln der Sprache die schönste Vertonung, die Weissglas sich hätte wünschen können.

Paul Celan: Umsonst
Video Art: Herry Dim
Musik: Peter Habermehl
Rezitation: Berthold Damshäuser

15 Reaktionen zu “Todesfuge”

  1. h. selbst-portrait von hinten « Turmsegler

    […] Das ist eine der Grenzberührungen zwischen den Künsten, wie sie mir immer vorschwebt. Wie Celan an die Tür der Musik klopft, tritt Hilbig hier bei der Malerei über die Schwelle. […]

  2. Denn « Turmsegler

    […] ••• Ich habe Immanuel Weissglas erwähnt und Paul Celan. Zu den Czernowitzern gehört noch eine andere grosse Dichterin: Rose Ausländer. Sie verliess die Stadt mehrfach und kehrte mehrfach zurück. Zum ersten Mal führte ihr Weg sie 1916 nach Wien. Nach dem Ersten Weltkrieg kehrte sie zurück, um nach dem Tod ihres Vaters 1920 der Not gehorchend zu Verwandten in den kleinen Ort Winona im Mittelwesten der USA zu übersiedeln. Den sanften Namen Winona verdankst du der Legende vom schönen Indianermädchen das sich vom Felsen stürzte aus verschmähter Liebe […]

  3. Hans

    Ich weiß gar nicht wie oft ich dieses Gedicht schon gelesen habe und es ist jedesmal auf eine Art unlesbar und trotzdem eines der dichtesten Gedichte überhaupt.

  4. Benjamin Stein

    Update 02. 11. 2007:
    Gefunden auf YouTube – Paul Celan spricht die „Todesfuge“. Und am Ende des Beitrags noch ein Video mit der Todesfuge, dessen Sprecher mir leider nicht bekannt ist.

  5. Anglila

    Bei dem Video „Celan: Todesfuge“ auf YouTube handelt es sich um das Werk folgender Künstler:
    VideoArt: Herry Dim (Indonesien)
    Musik: Peter Habermehl
    Rezitation: Berthold Damshäuser

  6. Benjamin Stein

    Vielen Dank für den Hinweis. Ich mache das entsprechend kenntlich.

  7. Jörg Weishaupt

    Ich habe unseren Deutschunterricht gehasst
    Ich habe Gedichte gehasst.
    Bis zu diesem.
    Deutschstunde bei Dr. Hasselbrinck (Königsweg in Kiel).
    Alles fing unglücklich an, wir haben eine Arbeit verweigert, der 1. Golfkrieg.
    Es gab einen sehr heftigen Streit, unser Kurs ging nämlich demonstrieren
    Ich habe es geliebt wenn er vorlas. OK er konnte mir dann nichts.
    Aber seine Stimme, ich war hin und weg.
    Der Streit eskalierte. Vieles wurde damals nicht geklärt.
    Ich habe danch die Todesfuge oft gelesen,Wut und Trauer
    Eine Frage wurde damals nicht geklärt.
    Herr Hasselbrinck,
    die schwarze Milch der Frühe wir trinken dich nachts wir trinken dich morgens….
    Ist es die Asche der Menschen, die in den Krematorien verbrannt wurden und sich in Pfützen sammelte?

  8. Benjamin Stein

    Ist es die Asche der Menschen, die in den Krematorien verbrannt wurden und sich in Pfützen sammelte?

    Ich würde das nicht so gegenständlich auffassen. Im Gedicht nehmen Worte oft eine Bedeutung neben ihrer eigentlichen Bedeutung an. Die „schwarze Milch“ der Frühe kann ebensogut ein Gefühl – von Todesangst und/oder Trauer bspw. – sein, das in jenen Sprechenden einströmt, als würde er trinken.

  9. metroprolet

    Es gibt, wie immer bei celan, wie schon gesagt, viele lesarten des gedichtes, das bei ihm auch immer schon die rueckfuehrung des eigentlichen bildes in die interpretation, also die unlesbarkeit wie bei einem archaichen text, der im nachhinein aus fragmenten zu rekonstruieren versucht wird, ist. eine lesart ist sicher auch die kabbalistische, aber nicht die einzige und sicher eben auch nicht die „wahrheit“ des textes. mich erinnert schwarze milch der fruehe an das kabbalistische bild des schwarzen feuers, das auf weises feuer schreibt, dies nur als beispiel, aber wie immer bei celan, faellt der interpretationsversuch immer schon hinter das eigentliche bild zurueck.

  10. HerrH

    Ich lese schwarze Milch, als Pest, als Tod, der Tod ist ein Meister aus Deutschland, an diesem Satz gibt es nichts zu interpretieren, der steht und fällt mit dem Willen aus dem Faschismus Lehren zu ziehen.

    Paul Celan kam sich immer vor wie einer der nicht mehr in diese Welt gehörte und wie sollte er auch, wäre er nicht versteckt worden, wäre er vergast worden.

    Der Tod ist ein Meister aus Deutschland, dein blondes Haar Margarete….

  11. perkampus

    dieses gedicht war mir während meiner LESUNG aller möglichen gedichte das liebste, weil es eine intension herausfordert, die seines gleichen sucht.

  12. Esra T.

    ich habe den Gedicht durch gelesen, werde auch bald einen referat über den Dichter Paul Celan halten. Damit es den Schüler aus meiner Klasse auch verständlich wird muss ich dennoch ein paar fragen beantworten können w.z.B. :
    –> Wie kann man einen Grab in den Lüften verstehen?
    –> was mein er mi der Tod ist ein Meister aus Deutschland?
    –> Was heißt mit den schlangen spielen?
    –> Was meint er mit „spielt auf nun zum Tanz?
    –> warum der Titel „Todesfuge“?
    –> Was bedeutet „schwarze Milch der frühe“?
    –> Was bedeuten die Frauen Namen?
    und zum Schluss noch
    –> Warum schreibt er „wenn es dunkelt“ nach Deutschland?

    kann mir da einer bitte behilflich sein ???
    Ich danke jeden schon im Voraus der mir ein paar Antworten dazu schreibt…

  13. Benjamin Stein

    Wie wollen Sie ein Referat halten, wenn Sie gar nicht bereit sind, sich mit dem Gedicht auseinanderzusetzen? Lesen Sie doch mal die Beiträge und Kommentare hier und über Immanuel Weissglas. Das wird schon einige Ihrer Fragen beantworten. Und darüber hinaus gilt, was oben in den Kommentaren schon steht: Selber fühlen und denken. Das will Dichtung von uns. Darauf müssen wir uns schon einlassen. Viel Erfolg wünsche ich Ihnen dabei.

  14. Esra T.

    mache ich …
    ich danke Ihen nochmals…
    nicht ich selber sondern meine Lehrerin hat mir diesen Thema zur Bearbeitung gegeben aber habe Gott sei Dank schon einpaar infos gefunden :)

  15. Flug

    Auch ich muss grad eine Arbeit zu dem Text schreiben. Da ich aber nicht sonderlich begabt mit Interpretationen bin, bin ich wirklich froh hier so viele gute Ansätze gefunden zu haben.

    Werd für mich selbst versuchen es stark im Bezug aufs KZ einzuordnen und die „Metapher“ aufzulösen.

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