Damit musste Schluss sein

5. Dezember 2024

© Den Kuvaiev

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The ideal subject of totalitarian rule is not the convinced Nazi or the convinced Communist, but people for whom the distinction between fact and fiction (i.e., the reality of experience) and the distinction between true and false (i.e., the standards of thought) no longer exist.

Hannah Arendt
»The Origins of Totalitarianism«

••• Der »Turmsegler« ist ein weiteres Mal umgezogen. Man könnte auch sagen: umgebettet worden. Denn lebendig ist dieses Weblog nicht mehr, und es ist höchste Zeit, auch anzuzeigen, dass die Ziellinie vor langer Zeit schon überquert worden ist, seinerzeit unmerklich. Es war ein langsames, sanftes Entschlafen.

Als ich hier am 25. November 2006 den ersten, programmatischen, Beitrag veröffentlicht habe, hatte ich keine Vorstellung davon, wie lange dieses Projekt laufen und wie es sich entwickeln würde. Was für Erwartungen auch immer ich damals hatte – sie wurden übertroffen. Mit Erstaunen und Bewunderung habe ich festgestellt, dass einige der früheren Mit-Litblogger nach wie vor unbeirrt in ihren Weblogs schreiben, wie man sich u. a. bei litglogs.net vergewissern kann. Auch das Urgestein der deutschsprachigen literarischen Weblogs, Herbsts »Die Dschungel. Anderswelt«, ist nicht unterzukriegen. Ich ziehe den Hut.

Und ich selbst? Oh, ich schreibe durchaus, aber mit der Hand und privat, von Öffentlichkeit eher abgeschreckt als von ihr angezogen:

Nahezu fünfundvierzig Jahre hatte er in geradezu religiösem Wahn nur in der ersten Person geschrieben. Damit musste Schluss sein. Schluss mit dem Einfühlen in andere, worauf er bisher all seine schöpferischen Energien gerichtet hatte und zwar so sehr, dass seine Frau ihn für der Empathie unfähig gehalten hatte, allein aus dem Umstand heraus, dass für sie, nachdem er das Schöpferische in sich erschöpft hatte, nur so viel Empathie übrig war, wie er sie sich selbst zugestand – also nichts. Bei allem, was er hatte ansehen müssen, wäre das einzige, in das er sich noch hätte hineinversetzen mögen, ein Stein gewesen, ein Alpenfels, eine Packeisscholle. Nur keine Menschen! Sollten sie alle zum Teufel gehen oder dort bleiben. Von ihm hätten sie nichts mehr zu erwarten und wennschon irgendwas, dann sicher keine Versenkung in ihr Denken und ihre Seelenzustände. Nur Abschied und pure Verzweiflung. Das hatte ihn, meinte er, gründlich und auf immer aus der ersten Person vertrieben. Es gab für ein Ich keinen Platz mehr. Er setzte es auf den Index.

Tatsache bleibt: Der »Turmsegler« hat seinen Zweck erfüllt. Ich wollte erinnern und entdecken und mich zur Schreibdisziplin zwingen, das Instrument neu stimmen und üben, üben, üben, um 10 Jahre nach meinem Roman-Debüt noch einmal Prosa über eine lange Strecke zuwege zu bringen. Das hat funktioniert. Und im Prozess, der mir noch dazu enorm Spaß bereitet hat, durfte ich viele interessante Menschen kennenlernen, an allerlei Weblog-Schabernack teilnehmen. Und natürlich habe ich immens viel gelernt. Dafür bin ich dankbar.

Mit Lyrik habe ich hier begonnen. Mit Lyrik will ich enden.

Vor einigen Monaten durfte ich via Alban einen Dichter kennenlernen, mit dem ich mich auf Anhieb sehr gut verstanden habe. Viel Lachen. Tiefe Gespräche. Allerlei Enthüllungen. Und all das, ohne dass der eine vom anderen etwas gelesen hatte. Wie erfrischend! Aber ich für meinen Teil hole das Lesen gerade nach und bin dabei auf ein Gedicht gestoßen, dass ich zu aktiven »Turmsegler«-Zeiten auf jeden Fall hier präsentiert hätte, weil es ein unentschlossenes (oder renitentes?) Sonett ist und allein damit eine sehr heutige Erweiterung der Sonette-Rubrik abgibt und sie daher nun auch abschließen soll – die Rubrik und das Weblog.

Herr und Knecht

der kurze atemweg der macht; die kehle hats uns verschlagen
(hecheln) auf den rosafarbenen bohlen (die gute ausstattung:
aus. und vorbei.) trieb es uns ins offene, wir weltumsegler
wir wurden zu knechtsherren, herrnknechte. (stehlampe)

Netz im Griff: schlingerndes strandblau („der behaarte“)
blickfang: ein guter delphin (der rücken, sieh, am neuen
lichte, der weiße bauch) der fischer kaut (in blut und over
all) die ketten, die rasselnden ketten in großaufnahme

uns zum lohn über die winde, mit den winden (nietzsche)
labernd: komm gib, komm gib dir eine pause, atem-
los: dies sausen über große flächen: kralle wind (herz-)

angeschnallt: ein langsamer gedanke: es sind embleme,
(holla: parforceritt (tod) -) es sind noch (benetzte) bilder im hirn,
stehende tierblicke im kalendar, sie blättern auf in die gischt.

Hendrik Jackson
Nachzuhören auf lyrikline.org

Von Blumenspenden bitte ich abzusehen. In diesem Sinne: Adé!

ANH Werkschau im Literaturhaus Berlin

14. August 2018

••• Save the date … Am Sonntag, 9. September 2018, werde ich mit einer Handvoll hochinteressanter Leute das Podium teilen, um über Alban Nikolai Herbsts Werk zu reden. Fühlen Sie sich von mir und ihm selbst eingeladen.


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Warum Facebook dein Feind ist

8. April 2018

••• Seit Jahren habe ich keinen Facebook-Account mehr. Auch auf Instagram und WhatsApp bin ich nicht zu finden. Obwohl ich schon viel ahnungslosen Unsinn gehört habe, wenn es um Privacy ging, überrascht es mich doch immer wieder, wie selbst hoch gebildete, technisch und politisch beschlagene Leute den Kopf schütteln über meine Entscheidung, auf keinen Fall noch irgendein Facebook-Produkt zu verwenden. Besonders hartnäckig ist die Fraktion jener »Aufgeklärten«, die der Meinung sind, sie würden Facebook ein Schnippchen schlagen, wenn sie bspw. nichts selbst posten oder nur in eigener Sache Werbung betreiben. Für all jene möchte ich heute noch ein letztes Mal einen Versuch unternehmen, deutlich zu machen, worin das Problem besteht und wie groß es tatsächlich ist – für jeden einzelnen von uns.

Damit dieses Unterfangen Aussicht auf Erfolg hat, muss ich mich kurz fassen und also auf die wesentlichen Punkte beschränken. Ich will erklären, welcher Natur die Daten sind, die Facebook sammelt und vermarktet. Dann möchte ich exemplarisch zeigen, worin der Unterschied zwischen dem Geschäftsmodell von Google und Facebook besteht, woraus das Ausmaß des Verrats deutlich werden wird, den Facebook an jedem einzelnen User und dessen gesamten Umfeld begeht. Beides zusammen müsste deutlich belegen, dass jedwede Nutzung eines Facebook-Produktes einer Selbstverletzung und Freundesverrat gleichkommt.


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den schnitt seht ihr später

18. März 2018

echos

mein körper speichert echos: wusste ich und hab es unterschätzt.
er sagt, so einfach ist es nicht, du kannst nicht eine fremde hand
durch eine fremdere ersetzen. für beide zahlst du schließlich

und wenn die neuste dir über deine arme fährt (»ein-
atmen. ja, da.«), finger in deine misst, anweisung gibt
dann rufe ich was ab: bekannt ist nicht korrekt

vertraut ist nicht bekannt, ich schicke salz als reaktion
du zahlst mit allem, was du an kontrolle hast, und deinen
atem lass ich nicht in ruhe. so rachsüchtig wie ich

kannst du nicht sein, verscheuchst uns, was ich
brauchte, weil du glaubtest, mehr sei angemessen
nun hat die herde an gelegenheiten ein gerissnes

schaf im plus zu hüten, schick ich neue hunde
in deinen kreislauf morgens. bin eine höhle
hier bin ich, lern mit meinen echos rechnen.

Katharina Schultens
aus: »untoter schwan«
© 2017 kookbooks

••• Man könnte meinen, hier würden nur noch Geburten und Todesfälle annonciert. Tatsächlich habe ich schon überlegt, hier den Schlüssel umzudrehen wegen des anderen Schlüssels, dem »in meinem Rücken«.

ich habe nichts mehr übrig an weichheit über das hinaus
was ich an weichheit für dich habe und für mein kind.
schon meine mutter kommt zu kurz, ihr herz stockt.

Hat alles so seine Zeit.

Und dann erwähnte ANH nebenan kürzlich Katharina Schultens. Das Buch kam, eine Zugreise stand an gestern, und wenn man auf Reisen geht, kann einem schon was widerfahren …


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Deus ex machina

10. Februar 2018

••• Die Consumer Electronics Show in Las Vegas rückte der Welt soeben einmal mehr ins Bewusstsein, wie leistungsfähig computergestützte Systeme unterdessen geworden sind. In diesem Jahr machen Lösungen auf Basis des Machine Learnings besonders von sich reden. Da man heute in einem Smartphone mobil über die Rechenleistung verfügen kann, die vor 30 Jahren noch Supercomputern vorbehalten war, scheint nichts mehr unmöglich. Schon vor Jahren nahm Deep Blue dem Menschen die Schachkrone. Unterdessen besiegte AlphaGo die besten Go-Spieler der Welt. Der Künstlichen Intelligenz scheint die Zukunft zu gehören. Wann, fragt sich mancher, werden uns die Maschinen auf breiter Front überflügeln? Darf man es so weit kommen lassen? Oder ist es gar nicht so, dass Maschinen wirklich denken können?


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